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Rezepte von dazumal beleben Altersheim
Basteln oder Stricken gehört zu den gängigen Beschäftigungsprogrammen in Altersheimen. Das Alterszentrum Sonnenhof in Wil fährt mutig einen anderen Kurs. Hier haben die Omis ihren eigenen Onlineshop, ein Restaurant und seit Kurzem einen Marktstand. Und eine Lebensfreude, die ansteckend wirkt.

Rezepte von dazumal beleben Altersheim

«Schöne Schürze, nicht?» Milly Haug, 85, schwebt durch den Gang des Alterszentrums Sonnenhof und strahlt übers ganze Gesicht. Sie ist auf dem Weg zur kleinen Küche. Dort warten ihre Kolleginnen auf sie, um ein Früchtebrotrezept zu testen. Wenn es ihnen gelingt und Küchenchef Philipp Wettach sowie die Fachjury es für gut befinden, dann kann es schon bald in ihrem Onlineshop bestellt werden. Und vielleicht kann es sogar mit an den Wochenmarkt Wil. Doch das ist gerade noch Zukunftsmusik. Zuerst muss jetzt die richtige Konsistenz des Teiges gefunden werden. Und wie war das nochmals mit den getrockneten Aprikosen? Müssen die zuerst eingelegt werden? Die Frauen stecken die Köpfe zusammen und kichern.

Andreas Bucher, Leiter Hotellerie der Thurvita AG, zu der auch der Sonnenhof gehört, muss über solche Situationen oft lachen. «Zusammen blühen die Frauen jeweils richtig auf.» Die Grundidee seines Konzepts «Chez Grand Maman» ist einfach: Man will das Wissen der Bewohnerinnen und Bewohner aus allen Bereichen der Küche nutzen und Gerichte wie dazumal herstellen. Milly Haug und ihre Kolleginnen haben die Möglichkeit, ihre Rezepte beizusteuern. Jede Woche wird ein Rezept ausgewählt und gemeinsam mit den Frauen in der kleinen Testküche mit den heute verfügbaren Koch- und Backmethoden nachgekocht oder -gebacken. Auf männliche Unterstützung konnten die Damen bisher nicht zählen. Bis heute habe sich leider nur einmal ein Mann in die Kochgrupppe getraut, so Andreas Bucher schmunzelnd.


Das verlorene Gefühl, gebraucht zu werden

«Unsere Bewohnenden sollen sich identifizieren können mit dem Sonnenhof», erklärt Bucher. Das passiere dann, wenn sie dem Altersheim ihre persönliche Note geben können. Gestrickt und gebastelt werde im Sonnehof natürlich auch. Aber nicht nur. Andreas Bucher will den Bewohnenden mehr bieten. «Sie sollen sich hier gebraucht fühlen.» Mit diesen Gedanken im Hinterkopf hat er im Herbst 2015 das Projekt ins Leben gerufen, als er neu zum Unternehmen kam.

Die Gerichte der Grand Mamans werden von einer Fachjury auf Geschmack, Aussehen und die Produktionstechnik geprüft. «Aromat oder Maggi können wir leider gar nicht durchlassen», so Jurymitglied und Küchenchef Philipp Wettach. Sie verwenden nur natürliche Zutaten in der Küche, da habe Maggi nichts verloren. Derselben Meinung sind auch die anderen Jurymitglieder: die St. Galler Spitzenköchin Vreni Giger, der Thurgauer Gemüsebauer Sepp Egger und die Kräuterfachfrau Katharina Reichmuth. An der französischen Salatsauce hätten sie bis jetzt am längsten getüftelt, so Wettach. «Wir mussten einen Ersatz für Maggi finden, ohne der Sauce ihren typischen Geschmack zu nehmen.» Gemeinsam mit einem Partner konnte dann zum Glück eine passende Kräutermischung gefunden werden.


Rezepte von dazumal beleben Altersheim

In der Testküche haben Milly Haug und Sophie Böni mittlerweile mit dem Teigkneten begonnen. Sie kennen sich schon lange, ihre Männer haben in der gleichen Firma gearbeitet. Eigentlich kam Milly Haug vor zwei Jahren nur wegen ihrem Mann ins Altersheim. Leider starb er in der dritten Nacht im Sonnenhof. Sie wollte aber nicht mehr zurück ins alte Zuhause und blieb. Bis heute. «Ich will meinen Kindern nicht zur Last fallen. Unabhängigkeit ist mir sehr wichtig», so Milly Haug. Diese Einstellung unterstreicht sie auch im Gespräch mit Andreas Bucher, als es um eine mögliche Renovation ihres Zimmers geht. «Ich könnte dann auf dem Gang schlafen oder auf dem Balkon», meint sie spitzbübisch. «Ich habe vier Kinder, zwölf Enkelkinder und neun Urenkelkinder», berichtet die stolze Grand Maman. «Sie haben ihr eigenes Leben. Ich freue mich, wenn sie mich hier besuchen kommen.» Dass Milly Haug mit ihrer Übernachtung im Freien Ernst machen könnte, ist Andreas Bucher bewusst. Er kennt seine Schützlinge. Seit dem Start des Projektes und dem grossen medialen Echo bekamen einige nahezu Flügel.


Achtung Bestellung

Lanciert wurde das Projekt «Chez Grand Maman» im Dezember 2015 mit dem Verkauf des Glühweins Hypokras, der nach einer 700-jährigen Tradition hergestellt wird, und mit Anisbögli. Irgendwie bekam der SonntagsBlick Wind vom Projekt mit dem Onlineshop und brachte eine mehrseitige Reportage. Daraufhin gings richtig los. «Das mediale Interesse war riesig, alle wollten unsere Grand Mamans sehen», berichtet Andreas Bucher. Die Klicks auf der Website seien innert wenigen Tagen kometenhaft in die Höhe geschossen, die Bestellungen genauso. Zum Glück haben dann alle vom Küchenchef über die Pflegehelferinnen bis zum Zivildienstleistenden mitgeholfen beim Verpacken der Produkte. Rückblickend würde Andreas Bucher sich darum besser auf die Lancierung eines Webshops vorbereiten. Sie hätten damals lange das Gefühl gehabt, immer zwei Schritte hintennach zu sein.


Das positive Echo auf den Webshop bestätigte Andreas Bucher in seinem Vorhaben, im Sonnenhof das erste «Chez Grand Maman»- Restaurant zu eröffnen. Seit Juni 2016 ist diese Vision nun Wirklichkeit. Die Karte nimmt den Gast mit in die Zeit von dazumal. Vom Hackbraten mit Kräutersauce und Kartoffelstock über das Schweinssteak Grossmutter Art bis hin zu eingemachten Zimt- Zwetschgen ist alles dabei, was die Bewohnerinnen vom Sonnenhof für ihre Familien früher zauberten. Das Ziel von Andreas Bucher ist klar, er will die Hemmschwelle senken, die viele vor Altersheimen haben. Der Sonnenhof soll ein Teil der Öffentlichkeit sein. Regelmässig lädt er darum auch bekannte Wilerinnen und Wiler ein, am Mittagsstammtisch mit den Bewohnenden zu essen und zu diskutieren. So waren neben dem Pfarrer auch schon die Stadtpräsidentin und die Regierungsrätin zu Gast im «Chez Grand Maman». Und die nächste Idee folgte rasch: Seit Dezember fahren die kecken Damen auch mit dem Piaggio im violetten Look zum Wochenmarkt.


Geschichten, die das Leben schrieb

Damit alle Produkte die hohen Qualitäts- und Hygieneanforderungen erfüllen, kümmert sich Philipp Wettach mit seinem Team um die Umsetzung. Er bringe die Gerichte vor allem in eine zeitgemässe Form, erklärt er. Denn die Gäste mögen nicht alles von dazumal, etwa den Schweineschmalz im Kuchenteig. «Mich faszinieren die Geschichten der Frauen. Da ist so viel Wissen über die Lebensmittel vorhanden», schwärmt Philipp Wettach. «Früher hat man sich wirklich Zeit genommen fürs Zubereiten der Lebensmittel.» So habe ihm eine Bewohnerin erzählt, dass sie jeweils die Bohnen auf dem Estrich getrocknet hat, alle einzeln an einer Schnur aufgefädelt. Und eine hat ihm gezeigt, wie Forellen früher ausgenommen wurden. «Ich kann wirklich immer wieder etwas lernen.»

Viel gelernt haben aber auch die Grosis. Sie schauen Philipp Wettach gerne zu, wie er ihre Produkte umsetzt und sind stolz, wenns wieder ein Gericht auf die Karte schafft oder in den Onlineshop. Den kontrolliert Milly Haug auch regelmässig mit ihrem neuen Tablet. «Ich will schliesslich wissen, was da so passiert», schmunzelt sie. Das Früchtebrot ist jetzt im Ofen, sie müsse weiter, informiert unsere Grand Maman dann. Beim nächsten Testkochen wird sie sicher wieder dabei sein.

Mehr zum Thema:

www.gastrofacts.ch/grandmaman 

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