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Muscheln: Auch ohne Perlen wertvoll: Ein Besuch in Galicien, dem Paradies der Meeresfrüchte
Am Strand Muscheln suchen: Im spanischen Fischerdorf O Grove ist das kein Kinderspiel, sondern harte Arbeit. Viele Menschen leben von Meeresfrüchten – und fast alle lieben sie.

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Meeresfrüchte und Fische tiefkühlen? Natürlich kann man das, im Binnenland Schweiz kennen wir es nicht anders. Doch in O Grove ist das reine Theorie. Im galicischen Dorf mit dem Übernamen «Paradies der Meeresfrüchte» gibt es selbstverständlich immer frische Ware. Nur einmal im Jahr ist alles anders. Dann braucht O Grove, das Meeresfrüchte in die verschiedensten Länder liefert, selbst so viele Muscheln, Krabben und Fische, dass zuerst ein Vorrat angelegt werden muss. Ein tiefgekühlter Vorrat. Und das ist Anfang Oktober. Dann feiert O Grove das Fest der Meeresfrüchte, das «Festo do Marisco», eines der grössten Festivals in Galicien.

Das zehntägige Festival zieht jeweils etwa 200'000 Menschen an, so auch vergangenen Herbst. Ein Volksfest. Und dazu gehören auch hier Festzelte und lange Tischreihen. Die Bänke fehlen, dafür gibt es umso mehr Essensstände rundherum: Hier gibt es gegrillte Schwertmuscheln, da gefüllte Muscheln, dort Tintenfisch mit Reis. Die Preise sind tief, die Stände, Köche und Speisen beliebte Fotomotive. Für die Kameras hebt ein Koch den Oktopus aus der Pfanne, bevor er ihn an seine Kollegin weiterreicht, die ihn mit der Schere verschnippelt und auf einem Souvenir-Holzteller mit Krabbenmotiv verkauft. Souvenirstände mit Festtassen, Wein aus der Region, jeden Abend Livemusik – Galicien feiert mit Gästen aus aller Welt.

Ebbe bedeutet Arbeit Am Morgen nach dem ersten Festabend blicken einige Besucher hinaus aufs Meer. Doch obwohl sie direkt auf der Ufermauer stehen, ist das Meer mehr als 100 Meter weit weg. Es ist Ebbe. Und das bedeutet für Lola Gondar Arbeit. «Ebbe und Flut bestimmen unsere Arbeitszeit», sagt sie. Denn mit den grossen Sandflächen gibt das Meer jetzt auch die Muscheln frei. Lola Gondar ist eine von 400 Muschelsammlerinnen hier in O Grove, im grössten Sammelrevier Galiciens. Genauer: Sie ist eine der Chefinnen. Männer gibt es in diesem Job nur wenige, und doch sind das schon mehr als früher. Damals sammelten ausschliesslich die Frauen Muscheln, die Männer waren als Fischer draussen auf den Booten und Schiffen – teils über Monate.

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Ernten bei jedem Wetter

Lola Gondar watet in Gummistiefeln durch den nassen Sand und sieht die Muscheln schon im Vorbeigehen. Um sie zu sammeln, benutzen die Mariscadoras, die Muschelsammlerinnen, Rechen. In gebückter Haltung graben sie den Sand und die Algen um, pflücken die grösseren Muscheln heraus und sortieren sie gleich. Da gibt es zum Beispiel die Japonica, die japanische Muschel. Sie kommt ursprünglich tatsächlich aus Japan, wächst nun aber auch hier – und das relativ schnell. So gibt es viele davon. «Der Preis ist eher tief, aber das ist eine gute Muschel, um das ganze Jahr über etwas zu verdienen.» Womit auch gesagt ist, dass die Muschelsammlerinnen in jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter draussen sind. Und das Wetter hat hier ebenso wenig mit dem Mittelmeerferien-Spanien zu tun wie die Kultur (keltisch), die Sprache (galicisch) und die Vegetation (üppig grün). In Galicien regnet es so häufig wie nirgends sonst im Land: an etwa 150 Tagen pro Jahr.

Einheimische Muscheln bringen mehr Geld als die Japonica. Zum Beispiel die Berberecho, die Herzmuschel. Den besten Preis erhalten die Muschelsammlerinnen aber für die Fina. Sie ist erst nach drei bis vier Jahren reif zum Essen. Kleine Muscheln lassen die Sammlerinnen im Sand, damit sie weiterwachsen können – die Einnahmequelle im Meeresboden braucht schliesslich auch Pflege und Schonung.


muscheln21000 Euro im Monat

Die Muschelsammlerinnen benötigen eine Lizenz, arbeiten auf eigene Rechnung und erhalten von den Leiterinnen eine Vorgabe, wie viel sie pro Tag sammeln dürfen. Zum Beispiel sieben Kilogramm Japonicas und eineinhalb Kilo Finas. Diese Menge hängt vom Marktpreis ab. Eine Sammlerin arbeitet in der Regel zwölf Tage pro Monat und verdient so etwa 1000 Euro. «Vor der Wirtschaftskrise wurden wir dafür belächelt», sagt Lola Gondar, «heute ist das anders.»

Wie viel ein Kilo ist, schätzen die Mariscadoras mit Hilfe von Behältern ab. Sie geben die gesammelten und sortierten Muscheln in Kunststoffnetze und waschen sie in den Wasserlachen, welche die Ebbe noch übriggelassen hat, ein erstes Mal aus. Und dann bestimmt nicht nur die Flut den Feierabend: Um 16 Uhr müssen die Muscheln auf dem Markt sein – in der Lonja, der Fischbörse am Hafen von O Grove.



Zuschauen, wie der Markt spielt

«Der Markt spielt» ist schnell gesagt und doch meist abstrakt, in der Versteigerungshalle ist es eindrücklich zu beobachten. Und das liegt nur zum Teil an der Zuschauergalerie, von der man hinunterblickt auf die Verkäufer und ihre Kundschaft: Händler und Gastronomen. Zwischen ihnen, auf Tischen, die Ware: Auf der einen Seite der Halle sind es gerade Krabben und Krebse, auf der anderen Muscheln. Auf der elektronischen Anzeigetafel an der Wand steht, welches Produkt gerade gehandelt wird, daneben der Preis, der in Fünf-Cent- Schritten rasch sinkt. Plötzlich bleibt der Preis stehen und in einem weiteren Feld der Anzeige erscheint der Name des Käufers: Er hat auf den Knopf seines Versteigerungsgeräts gedrückt und damit den Preis fixiert. Dafür erhält er nun die Ware – wer auf einen tieferen Preis gehofft hat, ist für diese Runde zu spät. Doch der nächste Posten wird gleich angeboten. Auch Miesmuscheln werden hier in grossen Mengen gehandelt. Woher sie kommen, können Besucherinnen und Besucher auf einer Bootstour erfahren.

flossUnter dem Floss wachsen Miesmuscheln

Im Hafen von O Grove liegt Ausflugsboot neben Ausflugsboot, auf dem Platz davor drängen sich zur Zeit des Meeresfrüchtefests die Menschen: Tourismus als spriessender Trieb des starken Wirtschaftszweigs Meeresfrüchteproduktion. Mit dem Katamaran geht es raus zu den Holzflossen, die schon vom Ufer aus auffallen, weil sie zu Hunderten hier in der Bucht Ría de Arousa verteilt sind. Jede Plattform ist 40 mal 40 Meter gross, und auch aus der Nähe ist nicht viel darauf zu sehen. Das Spezielle befindet sich unterhalb des Flosses. An jedem Floss hängen 500 Seile mit Tausenden von schwarzen Miesmuscheln daran. Etwa eineinhalb Jahre wachsen sie so im frischen Wasser, bis sie geerntet werden – per Kran, denn zu diesem Zeitpunkt wiegt ein einzelnes Seil bis zu 300 Kilogramm. Das und mehr wird über den Lautsprecher des Ausflugsbootes erklärt und wer mag, steigt vom Sonnendeck ganz hinunter in den Bauch dieses Glasbodenbootes: Fenster unter Wasser geben den Blick frei auf die Miesmuscheln. Ein Grossteil der Passagiere bleibt aber lieber oben, denn dort gibt es die Muscheln nicht nur zum Anschauen: Plattenweise werden sie nun serviert, dazu gibts Weisswein – alles à discrétion. Und aus den Boxen tönen bald keine Erklärungen mehr, sondern spanische Partyschlager in voller Lautstärke. Die Gäste, das Servicepersonal, der Koch – alle tanzen. In O Grove werden Meeresfrüchte nicht nur am Festival gefeiert.

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Ein Artikel von Tobias Fischer
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