«Jede Branche hat andere Risiken, aber das zum Teil fehlende Gesundheitsverhalten und die individuelle Einstellung zum Thema Gesundheit von einzelnen Mitarbeitenden in unserer Branche stellen eine zusätzliche Herausforderung dar», sagt Monika Zbinden, HR Coordinator Gesundheitsmanagement bei SV Schweiz. Sie nennt auch explizit das Heben und Tragen von Lasten als grosse Belastung und Herausforderung für die Gesundheit der Mitarbeitenden, genauso die Stosszeiten mit viel Hektik, die viele kognitive Fähigkeiten erfordern: Koordination von Abläufen, Multitasking und die allzeit bereite Freundlichkeit. «Während diesen hektischen Zeiten ist eine jederzeit wertschätzende und auf individuelle Bedürfnisse und Empfindsamkeit eingehende Mitarbeiterführung eine grosse Herausforderung», sagt sie. «Ausserdem sind die Arbeitsprozesse immer enger getaktet. Aufgrund des Marktdruckes hat das immer mehr zugenommen und ist direkt spürbar. Vor allem ältere und langjährige Mitarbeitende tun sich vermehrt schwer mit den heutigen Arbeitsbedingungen. Die Digitalisierung und die hohe Flut an Informationen, die im privaten und beruflichen Leben auf den Menschen einströmt, stellen ein zusätzliches psychosoziales Risiko dar.»
Unterschiedliche Herausforderungen
Andreas Martens, Geschäftsführer der AEH Zentrum für Arbeitsmedizin, Ergonomie und Hygiene AG, erwähnt zudem die Hitze in der Küche, Konflikte in Bezug auf die Einhaltung des Jugendarbeitsschutzes, den signifikant höheren Sexismus und vermehrte sexuelle Belästigungen verglichen mit anderen Branchen sowie den höheren Alkoholkonsum. Er betont aber auch: «Nicht alle Gastrobetriebe und -bereiche kennen die gleichen Herausforderungen, in der Küche in einem Spital sind sie andere als in einem Restaurant, im Service sind sie andere als in der Küche. Und nicht alle Mitarbeitenden empfinden die Belastungen genau gleich. Wenn man in dieses Gewerbe geht, weiss man, was das bedeutet. Das stellt eine gewisse Selektion dar. Aber: Das Arbeiten gegen die Normalzeit ist immer eine zusätzliche Belastung. Die Normalzeit wird auch vom Tageslicht synchronisiert und man weiss aus Untersuchungen zur Schichtarbeit, dass eine Hauptbelastung am Abend physiologisch und psychologisch schwierig ist. Diese Arbeitszeiten machen es zudem schwieriger, die Freizeit mit Freunden, der Familie oder in Vereinen zu gestalten.»
Was tun?
Nun sei aber genug gejammert. Denn die Gesundheit ist nicht einfach verloren, wenn man im Gastgewerbe tätig ist. Im Gegenteil. «Genauso wie Freundlichkeit in hektischen Zeiten oder an schwierigen Tagen belastend sein kann, so ist ein positiver Kundenkontakt auch eine Ressource», sagt Monika Zbinden. Und man kann viel in die richtige Richtung lenken. Bei SV Schweiz setzt man beispielsweise auf obligatorische Führungsschulungen für Vorgesetzte, zum Beispiel zum Umgang mit Mitarbeitenden, zur Gesprächsführung, zu Rekrutierungs- oder Qualifikationsgesprächen, zum Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit, zu Gesundheitsgesprächen, zur Führungsverantwortung für eine gesunde Betriebskultur, zum Umgang mit Absenzen und zur Wiedereingliederung von langzeiterkrankten Mitarbeitenden. Ausserdem gibt es Kurse zu Selbst- und Stressmanagement und in den Betrieben werden drei Mal wöchentlich zehnminütige Kurzschulungen und Sensibilisierungen zu betriebsund qualitätsrelevanten Themen durchgeführt, unter anderem zur Unfallverhütung, zum Gesundheitsverhalten, zur Kommunikation und zum Umgang miteinander.
«Wir betreiben auch ein Potenzialmanagement für Restaurantmanager und Küchenchefs und systematisierten den Prozess Gesundheitsmanagement mit Gesundheitsgesprächen bei häufigen und auffälligen Absenzen, bei Frühanzeichen oder auf expliziten Wunsch von Mitarbeitenden», sagt Zbinden. «Wir sensibilisieren die Führungskräfte für psychosoziale Risiken, publizieren drei Mal jährlich Artikel über gesundheitsrelevante Themen in der Mitarbeiterzeitung SV Journal, sensibilisieren und informieren über das Gesundheitsmanagement auf unserem Intranet und können unseren Mitarbeitenden eine anonyme und kostenlose externe Sozialberatung anbieten.»
Mitarbeiter unterstützen
Das ist ein grosses Engagement, für das wohl nicht jeder Betrieb die Möglichkeiten hat. «Ein grösseres Unternehmen kann leichter ein systematisches Gesundheitsmanagement betreiben als ein kleiner Betrieb», sagt Andreas Martens. Doch wer die Mitarbeitenden gut auswähle, gut mit ihnen umgehe, Kurse und Schulungen zur Thematik belege und keine eigene Belastungen an die Mitarbeitenden weitergebe, wer gutes Hilfsmaterial und gute Ausrüstungen beschaffe, tue bereits viel für die Gesundheit der Mitarbeitenden.
Am wichtigsten ist eine gute Unternehmenskultur
«Wenn Spannungen und Belastungen erkannt, thematisiert und reflektiert werden können, wenn man sagen darf, dass man müde ist, anstatt Angst zu haben, der Chef merke, dass man müde ist, hilft das auf jeden Fall», sag Martens. «Es gibt immer Belastungen, aber es gibt auch immer Ressourcen. In einem guten Team, wo man sich aufgehoben fühlt, kann man Belastungen und Ressourcen gegenseitig kompensieren. Ein solches Klima müssen die Führungskräfte vorleben und beeinflussen.»
Auch Monika Zbinden erachtet eine gesunde Unternehmenskultur als sehr wichtig – dass Vorgesetzte und Mitarbeitende offen über gesundheitliche und psychosoziale Belastungen sprechen können: «Es steht und fällt mit der Führung», sagt sie. «Deshalb schulen wir vor allem unsere Führungskräfte darin, wie sie unsere Mitarbeitenden gesund führen können. Sicher kann man Gesundheit fördern, indem man Sportabonnemente oder Gesundheitstage organisiert. Das machen wir aber nicht. Wir wollen die Verhältnisse am Arbeitsplatz positiv beeinflussen, nicht das Verhalten der Mitarbeitenden. Das ist viel schwieriger und braucht immer die Einsicht jedes und jeder Einzelnen, dass er oder sie das auch will.»
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Ein Artikel von Stefan Kühnis