Optionale Eingabe einer Ortschaft oder Postleitzahl
Optionale Eingabe einer Firma (zb. Dolder)
Optionale Eingabe einer Spezialität / Kategorie (zb. Pizzeria, Kegelbahn)
Optionale Eingabe der Entfernung (in km) in der im Umkreis zur Eingabe bei Wo (Ort/PLZ) gesucht werden soll
Essen ist mehr als Ernährung
«Lebensmittel haben mich schon als Kind fasziniert», sagt Beatrice Baumer. Heute ist sie Präsidentin der Eidgenössischen Ernährungskommission und Dozentin für Ernährung an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).


Beatrice Baumer beim Zmittag: Sie plädiert für mehr Genuss und weniger Verkrampftheit rund ums Essen.
Wie ernährt sich eine Lebensmittelingenieurin ETH, die über die Grundlagen und die gesundheitlichen Auswirkungen der Ernährung doziert und den Bundesrat und Bundesämter berät? «Ich ernähre mich nicht, ich esse», stellt Beatrice Baumer klar. Essen sei viel mehr als Ernährung, da gehe es auch um Soziales und um Gewohnheiten, zudem würden Langeweile und der Wunsch nach Belohnung das Essverhalten prägen.

Man ist, was man nicht isst

Wir treffen Beatrice Baumer an ihrem Arbeitsort Wädenswil (ZH) zum Mittagessen im Restaurant Engel – und sie bestellt ganz nach Lust (Salat und Fisch). «Ich will nicht die ganze Zeit schauen, wie viele Kilokalorien, Kohlenhydrate und Proteine ich esse.» Essen ist ihre Wissenschaft, aber nicht ihre Religion. Das sei heute bei vielen anders: «Wenn ich erzähle, was ich beruflich mache, sagen mir viele Menschen sofort, was sie essen und vor allem, was sie nicht essen.» Ihr Eindruck: Statt «man ist, was man isst», gelte heute für viele «man ist, was man nicht isst.» Man definiere sich über den Verzicht. Dabei sei dieser Verzicht oft nicht wissenschaftlich begründbar.

Ihr Beispiel: laktose- oder glutenfreie Lebensmittel. «Für Menschen mit einer entsprechenden Intoleranz ist es super, dass es solche Lösungen gibt. Doch ohne Intoleranz gibt es keinen Grund, diese Produkte zu konsumieren. Es hat keine schützende Wirkung.» Beatrice Baumer stellt «eine gewisse Verkrampftheit» fest, wenn es ums Essen geht: «Wir sollten mehr über die schönen Aspekte des Essens reden und weniger über die wahrgenommene Gefahr von Lebensmitteln.» Schliesslich war es auch die Lust, die sie zu den Lebensmittelwissenschaften führte: die Lust am Backen, Kochen und Essen – schon als Kind. Dazu kam später das Interesse an Biologie und Chemie.

Guetzli zum Frühstück?

«Was mich dann während dem Studium an der ETH fasziniert hat ist, wie sich Inhaltsstoffe von Lebensmitteln bei der Verarbeitung verändern und welche Auswirkung sie auf den Körper haben.» Und so verkrampft sich die einen eben genau damit beschäftigen würden, so nachlässig seien andere: «Viele Menschen ernähren sich nicht ausgewogen, nicht bedarfsgerecht. Sie konsumieren zum Beispiel zu viel Zucker oder ungesunde Fettkombinationen.» Da findet es Beatrice Baumer richtig, wenn der Staat gewisse Problematiken aufzeigt und mit der Industrie schaut, was machbar ist. Etwa beim Thema Frühstückcerealien: «Es gibt tatsächlich Cerealien, die zu 50 Prozent aus Zucker bestehen. Da könnte man geradesogut Guetzli zum Frühstück essen.»

Ein weiteres aktuelles Thema – auch in der Forschung an der ZHAW – sei das Salz im Brot: Wie wirkt es sich auf den Teig und die Sensorik aus, wenn man weniger Salz verwendet? «Bei Lebensmitteln muss man immer verschiedene Aspekte berücksichtigen, das versuchen wir auch unseren Studentinnen und Studenten beizubringen: Wenn ich auf der einen Seite etwas verbessere, verschlechtert sich oft etwas anderes.» Mit Wissen über die Ernährung und deren Einfluss auf die Gesundheit versorgt Beatrice Baumer aber eben nicht nur Studierende der ZHAW, sondern auch den Bundesrat sowie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Dies gemeinsam mit den weiteren Mitgliedern der Eidgenössischen Ernährungskommission (EEK), die sie präsidiert.

campus-reidbach-waedenswil-7494Beträchtlicher Aufwand für Expertenberichte

Diese Kommission, in der neben der Bildung und Forschung auch die Lebensmittelindustrie, der Handel und die Konsumentenorganisationen vertreten sind, erarbeitet in Milizarbeit wissenschaftlich fundierte Stellungnahmen und Expertenberichte. Zum Beispiel – daran arbeitet Beatrice Baumer in der Zeit unseres Treffens – zum Thema vegane Ernährung. Auch für diesen Bericht wurde innerhalb der Ernährungskommission eine Arbeitsgruppe gebildet und mit externen Fachleuten ergänzt. Beatrice Baumer hat die Co-Leitung übernommen. Der Aufwand ist beträchtlich: «Wir zitieren in unserem Bericht etwa 250 wissenschaftliche Artikel. Und jeder dieser Artikel wird von mindestens zwei Personen gelesen.» Damit soll sichergestellt werden, dass die richtigen Informationen mit der richtigen Interpretation in den Bericht der Kommission einfliessen. «Momentan sind wir im Endspurt: Mein Co-Autor und ich sitzen einmal pro Woche zusammen und feilen an jedem Satz.» Der Bericht umfasst nun mehr als 70 Seiten. Und zu welchem Schluss kommt er in Sachen Veganismus?

Vor der Publikation des Berichts auf der Website der Ernährungskommission will Beatrice Baumer keine Details verraten. Zwei Häppchen gibts dazu. Das eine: «Wir liefern einen Gesamtüberblick, der dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen hilft, eine balancierte Meinung zur veganen Ernährung zu haben.» Was sie zudem andeutet: Der Bericht werde nicht schwarz-weiss ausfallen. Und zur da und dort diskutierten Frage, ob der Mensch nun in erster Linie ein Fleisch- oder Pflanzenesser sei, sagt sie: «Wenn wir schauen, wie unser Verdauungstrakt aufgebaut ist, ist klar, dass wir omnivor sind, also sowohl pflanzliche als auch tierische Nahrung verdauen.»

Schnell wirds politisch

Die Analysen und Empfehlungen der Ernährungskommission sind das eine, was der Bund, Politik und Wirtschaft dann daraus machen, ist das andere. Beispiel: ein Bericht zum Fleischkonsum. Die Kommission wertete dafür verschiedene Studien aus und kam zum Schluss: Wer weniger Fleisch isst, ist gesünder. Eine Aussage, die der Fleischbranche logischerweise keine Freude macht. Beatrice Baumer sagt: «Ernährungsempfehlungen haben immer auch weitergehende politische Konsequenzen, das lässt sich kaum trennen.»

Die Erkenntnisse der Ernährungsforschung würden von vielen Menschen auch tiefer gewichtet als eigene Erfahrungen, im Sinne von: «Mein Grossvater hat jeden Tag Salami gegessen, Wein und Grappa getrunken und geraucht – und er wurde 90.» Solche Beispiele würden herangezogen, um ungesunde Ernährungsweisen und Lebensstile zu rechtfertigen. So sei auch immer wieder zu hören: «An irgendetwas sterbe ich ja sowieso.» Dafür hat Beatrice Baumer kein Verständnis: «Es ist doch ein Unterschied, ob man knapp nach der Pensionierung stirbt oder ob man über 80 wird und bis dann noch Lebensqualität hat und Zeit für Reisen, Hobbys, Enkelkinder. Mit dem Ess- und Lebensverhalten kann man das positiv beeinflussen.» 

Qualität des Essens wird immer wichtiger Essen und Qualität2

Beim Essen stelle sich die Frage: Was brauche ich tatsächlich? Sie selbst, nun über 50, stelle fest, dass immer weniger Energie brauche, aber trotzdem die gleiche Menge Vitamine, Proteine und Mineralstoffe. «Das heisst, die Qualität der Lebensmittel muss mit dem Alter immer höher werden», sagt Beatrice Baumer. Sie wolle wissen, was in ihrem Essen drin sei, deshalb koche sie immer mit frischen Zutaten – viel Gemüse, frische Gewürze. Und in der Mittagspause geht sie ins Restaurant, wo sie mit anderen Dozentinnen und Dozenten isst, diskutiert und lacht. «Das ist auch von der menschlichen Seite her wichtig. Eben: Ernährung und Essen sind nicht das Gleiche.»

Mehr Informationen erhalten Sie hier:


Artikel von Tobias Fischer

Seite weiterempfehlen
Artikel drucken