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Die Essbiografie als Schlüssel zur individuellen Begleitung
Speisen, Gerüche, Gepflogenheiten: Das Essen prägt unsere Identität. Wer sich mit der Essbiografie von älteren Menschen vertraut macht, erhält in der Heimküche die Chance, sie sehr direkt anzusprechen und ihnen ein Gefühl von Zuhause und persönlicher Zuwendung zu vermitteln.

Die Essbiografie als Schlüssel zur individuellen Begleitung

Meine Mutter war eine ausgezeichnete Köchin. Sie war Bäuerin und besorgte zusammen mit meinem Vater einen wunderschönen, sehr gepflegten Hof. Sie hatte einen stets von allem Unkraut befreiten, üppigen Gemüsegarten und in ihrer Küche brodelten Töpfe und Pfannen gefüllt mit Köstlichkeiten, aus dem Ofen kam der unvergleichliche Geruch von frisch gebackenem Brot. Unser Tisch war immer gut besetzt mir hungrigen Mäulern, denn jeder, der sich zur Essenszeit auf dem Hof befand, wurde verpflegt, und es kamen viele und sie kamen gern. Ich liebte viele der traditionellen Gerichte meiner Mutter, aber etwas ganz Besonderes waren die Spitzbuben, die sie zur Weihnachtszeit backte. Nirgends auf der ganzen Welt gab etwas so Herrliches wie diese kleinen Naschereien. Nach dem Tod meiner Mutter wollte meine Schwester mir eine Freude machen. Zu Weihnachten schenkte sie mir ein Glas Spitzbuben, die sie nach dem Rezept meiner Mutter zubereitet hatte. Ich war sehr gerührt von ihrer Aufmerksamkeit – obwohl ich zum Schluss kam, dass es keinem Menschen auf der Welt gelingen kann, solch herrliche Spitzbuben zu backen wie meine Mutter!


Die Küche – das Herz des Hauses

Es gibt ein altbekanntes Sprichwort, das lautet: «Du bist, was du isst.» Wie wahr! Ich bin der festen Überzeugung, dass nichts unsere Identität und unsere Selbstwahrnehmung so sehr prägt wie das Essen, das wir zu uns nehmen. So ist es die Stimmung in der Küche meiner Mutter, die mich tief geprägt hat und bis heute den Kern dessen darstellt, was eine Küche für mich bedeutet. Die Küche ist das Herz eines jeden Daheims. Von hier breiten sich verlockende Düfte aus, hier werden vertraute Geräusche gemacht wie das Schneiden von Gemüse, das Hantieren mit Pfannen und Geschirr, das Zischen von frischen Zutaten, wenn sie in heisses Öl gegeben werden. Hier gibt es immer was zu tun und zu helfen, es ist warm und gemütlich. Der gemeinsame Abwasch bietet Raum für eine kleine Plauderei zwischendurch oder – wie es meine Töchter zu tun pflegten – für das gemeinsame Singen all ihrer Lieder.


Die Essbiografie als Schlüssel zur individuellen Begleitung

Tief verankert

Auch die Speisen und der Rahmen, in welchem diese in unserer Kindheit konsumiert wurden, prägen nachhaltig unser Verständnis von Esskultur. Denken Sie zurück an Ihre eigene Kindheit: Wie wurde der Tisch gedeckt? Wurde gemeinsam gegessen? Gab es am Tisch bestimmte Regeln, die befolgt werden mussten? Was war Ihr Lieblingsessen als Kind und wann wurde es aufgetischt? Ich staune immer wieder, wie tief sich solche Gepflogenheiten in unserem Bewusstsein verankern. Meine Enkel beispielsweise insistieren auch bei mir Zuhause, auf ihrem Platz zu sitzen und mit ihrem Besteck zu essen. Es ist nicht zu unterschätzen, welche Frustration es bei ihnen auslösen kann, wenn diese Ansprüche nicht erfüllt werden!

Unsere ganz persönliche Esskultur wird also schon zu einem wesentlichen Teil in unserer Kindheit geformt, wo sie natürlich gezeichnet ist von den Vorstellungen, Traditionen und Vorlieben unserer Eltern. Doch auch unsere Herkunft, unsere Religion und unser gesellschaftliches Umfeld prägen unsere Esskultur. Ein Beispiel: Eine Kollegin von mir ist türkischer Herkunft. Sie wurde in der Schweiz geboren und ist nicht religiös. Dennoch führt ihre Herkunft zu einer ganz anderen Esstradition, als ich sie habe. Ihr Speiseplan setzt sich aus völlig anderen Zutaten zusammen, und auch wenn wir die gleichen traditionellen Feste feiern, ist ihr kulinarischer Hintergrund ganz anders. Bemerkenswert ist doch auch, dass es hierzulande immer noch Tradition ist, freitags Fisch aufzutischen. Kaum einem ist der christliche Hintergrund bewusst, der zu dieser Gepflogenheit führte, doch die Gewohnheit ist tief verwurzelt.


Die Essbiografie als Schlüssel zur individuellen Begleitung

Gepflogenheiten verändern sich

Natürlich emanzipieren wir uns irgendwann auch ein Stück weit von der Esskultur unseres Umfelds. Durch unsere Freunde, unsere Reisen und unseren individuellen Alltag und vielleicht auch durch neu gewonnene Überzeugungen formen sich weitere Essgepflogenheiten. Eine meiner Töchter wurde vor zehn Jahren Veganerin. Dadurch hat sie auf der einen Seite mit vielen ihrer Esstraditionen gebrochen. Auf der anderen Seite schätzt sie nichts so sehr, wie wenn ich ihr eine – entsprechend vegane – Züpfe backe, die sie an die Züpfe ihrer Kindheit erinnert (für meine Töchter ist meine Züpfe das, was die Spitzbuben meiner Mutter für mich waren).


Mit Essbiografie vertraut machen

Wenn wir nun bedenken, wie zentral unsere kulinarische Herkunft und Prägung in Bezug auf unser Selbstverständnis ist, wenn wir uns in Erinnerung rufen, wie sehr unsere Feste und Traditionen von ganz bestimmten Speisen, Gerüchen und Gepflogenheiten rund um das Essen getragen werden – so werden wir uns bewusst, welch kulinarische Schatztruhe ältere Menschen ins Altenheim mitbringen. Wenn wir uns bemühen, Einblick in diese Schatztruhe zu erhalten, eröffnen sich für uns ungeahnte Möglichkeiten, diese Menschen individuell und persönlich zu begleiten und anzusprechen. So ist es auch für uns, die wir unseren Alltag noch selbständig meistern können, ein Beziehungsangebot, wenn jemand für uns kocht. Genau diese Funktion soll auch das Verpflegungsangebot im Altenheim übernehmen: Unseren Gästen soll das Gefühl vermittelt werden, dass wir für sie kochen. Dies gelingt uns am besten, wenn wir uns mit ihrer Essbiografie vertraut machen.


Die Essbiografie als Schlüssel zur individuellen Begleitung


Indem wir ihre individuelle Esskultur in Erfahrung bringen, setzen wir uns auf ganz persönliche Weise mit ihnen auseinander, lernen einander kennen und knüpfen ein emotionales Band zwischen ihnen und uns. Danach sind wir in der Lage, sie mit bestimmten Speisen oder Gepflogenheiten rund um das Essen sehr direkt anzusprechen und ihnen damit ein Gefühl von Zuhause und persönlicher Zuwendung zu vermitteln. Gerade auch dann, wenn ältere Menschen kognitive Veränderungen vollziehen, kann das Kennen ihrer Essbiografie von eminenter Bedeutung sein – dann nämlich sind wir in der Lage, sie in einem Zustand, in dem sie nicht mehr intellektuell auf uns reagieren, mittels basaler Stimulation direkt anzusprechen.


Das Gerstensuppen-Erlebnis

So hat sich ein Erlebnis mit einer Tessinerin, die eine stark fortgeschrittene Demenz hatte, tief in meine Erinnerung eingegraben: Seit Wochen hatte sie auf keine Reize von aussen mehr reagiert und auch praktisch nichts mehr gegessen. Von ihrem Sohn wusste ich, wie sehr sie Bündner Gerstensuppe schätzte. Also stellte ich einen mobilen Herd neben ihr Bett und dünstete in einer Pfanne Zwiebel und Speckwürfel an. Die Frau reagierte alsbald auf den verlockenden Geruch, begann zu schmatzen und murmelte etwas, was ich als «mangia, mangia» verstand. Nachdem ich die Suppe zubereitet hatte, verzehrte sie zum Erstaunen aller eine ganze Portion davon.


Sie sehen also, wie tief unsere persönliche Esskultur in uns verwurzelt ist. Wenn wir dies anerkennen und in unserem Arbeitsalltag darauf zurückgreifen, haben wir eine grosse Palette von Möglichkeiten, unsere Gäste persönlich, individuell und aufmerksam zu begleiten und für sie einen Ort zu schaffen, den sie als ihr Zuhause annehmen können.


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