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Der Direttore und seine Hotelfachschule
Eigentlich wollte Mauro Scolari Landschaftsarchitekt werden. Doch das Schicksal machte den Tessiner zum Pädagogen. Er kann kochen, kennt sich mit Weinen aus, kann fotografieren, Trockenmauern bauen, liebt Hunde und besitzt einen Eidgenössischen Fähigkeitsausweis als Radioamateur.

Der Direttore und seine Hotelfachschule

Hauptberuflich hat er eine Hotelfachschule aufgebaut, die Scuola superiore alberghiera e del turismo (SSAT) in Bellinzona, die er seit 22 Jahren leitet. Wer ist dieser vielseitig interessierte Mensch? Wir haben mit ihm in einem originellen Lokal zu Mittag gegessen und uns über das Gastgewerbe in der Südschweiz unterhalten.

Bellinzona, kurz vor Mittag, Anfang Mai. Tiefschwarze Wolken verdunkeln die Stadt, aus ihnen blitzt und donnert es gewaltig. Als ich von der Piazza Governo in die enge Via Orico schreite, regnet es wie aus Kübeln. Fast hätte ich den unauffälligen Eingang der Osteria Mistral verpasst. Hier treffe ich Mauro Scolari, den Direktor der Tessiner Hotelfachschule. Kaum hat er Platz genommen, beginnt er zu reden, ohne meine erste Frage abzuwarten. Ich schalte mein Aufnahmegerät ein – und es kann losgehen.

«Die berufliche Weiterbildung dauert ein Leben lang»
Scolari ist Jahrgang 1953, verheiratet, Vater von drei Kindern aus erster Ehe, Absolvent der Hotelfachschule in Lausanne sowie des Schweizerischen Instituts für Berufspädagogik und hat einen Master in Führung von Bildungsinstituten von der Università della Svizzera Italiana. Dazwischen hat er in England, Deutschland und in Zürich im Gastgewerbe und beim Verband Hotelleriesuisse gearbeitet und spricht heute ausser Italienisch auch Deutsch, Französisch und Englisch. Zudem kann er sich auch in Portugiesisch und Spanisch äussern. Denn Lernen ist eine seiner vielen Leidenschaften. Erst vor ein paar Tagen hat er die eidgenössische Fachausweis-Prüfung zum Sommelier abgelegt. «Man muss sich immer wieder in Frage stellen», sagt Scolari, «die berufliche Weiterbildung dauert ein Leben lang».

Von Hotelleriesuisse beauftragt, erstellte Scolari vor über 22 Jahren eine Machbarkeitsstudie für eine Hotelfachschule im Tessin, die 1993 in Bellinzona unter seiner Leitung den Betrieb aufnahm. Und jetzt, mit 62 Jahren, steht er kurz vor der Pensionierung und organisiert seine Nachfolge. «Ich muss mich nicht mehr um meine Karriere sorgen», scherzt er, «ich kann alle Ihre Fragen offen und ungeschminkt beantworten». Ich bin gespannt.

Der Direttore und seine Hotelfachschule

«Ich habe keine Vorlieben – aus Prinzip esse ich immer lokale Gerichte»
Ob er ein Gourmet sei, will ich wissen. Ja, sagt er, ihm gefallen die guten Sachen. «Ich habe keine Vorlieben, aus Prinzip esse ich immer lokale Gerichte. In jedem Land». Zu seinem sechzigsten Geburtstag war er mit seiner Frau bei Andreas Caminada, wo er die raffinierte hohe Kunst der Top-Gastronomie genossen hat.

Aber er habe auch in kleinen, einfachen Grotti hervorragend gespeist und in China Schlangenfleisch gegessen. «Ich hätte dort fast auch den Hund versucht, doch wegen der Olympischen Spiele hatte die Regierung diese Gerichte in den Restaurants zum Glück verboten», erzählt er lachend.

In der Osteria Mistral war er noch nie. Ich frage ihn, warum er denn gerade dieses Lokal ausgesucht habe. «Weil ich den Wirt Luca Brughelli schon lange kenne. Er ist meiner Meinung nach einer der besten Köche im Tessin», kommt die Antwort wie aus der Kanone geschossen. «Brughelli ist ein Original, er kocht nur, was er will», sagt Scolari. Und in der Tat, eine Menükarte sucht man im Lokal vergebens. Mittags gibt es einen leichten Dreigänger, abends kann man zwischen den Menüs Sorpresa, Délicieux und Grand Mistral wählen. Was sich dahinter verbirgt, erfährt der Gast erst am Tisch. Selbst der Wein empfiehlt der Wirt selber. «Sterne und Punkte interessieren mich nicht», sagt Brughelli, als er sich kurz vorstellt. «Die besten Kritiker sind Journalisten, die unerkannt vorbeikommen, essen und ihre Rechnung bezahlen. Dann lese ich die Kritik und weiss nicht einmal, wie der Journalist aussieht.»

Der Direttore und seine Hotelfachschule

«Alle kultivierten Völker haben eine gute Küche»
Scolari bekommt von Brughelli eine Gersten-Zucchetticrèmesuppe, ich Spargeln mit Spiegelei. Als Hauptgang serviert er traumhaft gewürzte, gebratene Felchenfilets vom Lago Maggiore und als Dessert gibt es ein feines Schokoladenmousse-Duo. Das Ganze wird abgerundet von einem hervorragenden Chardonnay aus der Ardèche. Alles für vierzig Franken pro Person, das Glas Wein und Mineralwasser inklusive. Originell ist auch die Personalbesetzung im nicht gerade kleinen Restaurant. Der Chef kommt mit einer einzigen Küchenhilfe und einer Kellnerin aus. Und das ist es, was Scolari von einem guten Gastronomen erwartet: Leidenschaft, Kreativität und die Bevorzugung von regionalen Produkten.

Muss man als Direktor einer Hotelfachschule ein Gourmet sein, frage ich Scolari, um das Gespräch wieder auf die Schule zu lenken. «Ich denke ja», antwortet er, «alle kultivierten Völker haben eine gute Küche. Wäre ich kein Gourmet, wäre ich wohl eher Verwalter als Direktor. Ein Gourmet weiss Leistungen zu würdigen». Betrachtet man das Organigramm der Schule, fällt auf, dass der Name Scolari in vielen Kästchen vorkommt. Ob er ein Autokrat sei, will ich wissen. «Keineswegs, ich pflege all das zu delegieren, was andere besser können als ich. Aber seit einigen Jahren hat der Kanton aus Spargründen das Führungspersonal reduziert. Will man die Qualität des Lehrbetriebs erhalten, müssen alle mehr leisten», antwortet er nachdenklich. Seiner Meinung nach muss ein guter Schulleiter kreativ sein, vorausschauend denken und gut organisieren können. Und er muss die Initiative ergreifen. Eine gute Schule muss zum Kompetenzzentrum für alle Aspekte des Faches werden. Es ist wichtig, dass man in der Öffentlichkeit über die Schule spricht. «Auf einer Fach-Website in Dubai wird die SSAT als eine der 30 besten Hotelfachschulen der Welt bezeichnet. Darauf bin ich stolz», sagt er und lehnt sich zufrieden in seinen Sessel zurück.

Von seinen Absolventen erwartet der Schuldirektor vor allem Kreativität und Leistungsbereitschaft. «In unserem Fach darf man die Arbeitsstunden nicht zählen», doziert er. «Wichtig sind auch die zwischenmenschlichen Beziehungen, sowohl gegenüber den Gästen als auch im Umgang mit dem Personal.»

Der Direttore und seine Hotelfachschule

«Die Tessiner Hoteliers haben die Qualität schwer vernachlässigt»
Wie sieht es mit der Qualität in der Tessiner Hotellerie aus, will ich wissen. «Qualität ist immer wichtig», ermahnt Scolari streng. «Aber die Tessiner Hoteliers haben diese schwer vernachlässigt. Seit Ende der 1980er Jahre hat das Tessin etwa einen Drittel seiner Touristen verloren.» Scolari ist überzeugt, dass der Tourist heute mehr erwartet als ein bequemes Bett und gutes Essen. Ehrliche Gastfreundschaft und ortskundige Beratung durch einheimische Angestellte sind seiner Meinung nach ebenfalls wichtig. «In Österreich gibt es Hotels, deren Personal zu 95% aus der unmittelbaren Region stammt. Im Tessin hingegen werden mehrheitlich Ausländer beschäftigt, die kaum Bezug zur Region haben», sinniert er. Und dies geschieht scheinbar nicht aus Kostengründen, denn im Schweizer Gastgewerbe existiert ein Gesamtarbeitsvertrag mit garantierten Mindestlöhnen. Die Berufe im Gastgewerbe sind für die heutige Jugend offenbar wenig attraktiv, sie bevorzugen Bürotätigkeiten mit geregelten Arbeitszeiten und freien Wochenenden. Über die Folgen der Masseneinwanderungs-Initiative macht sich Scolari wenig Sorgen. Er ist überzeugt, dass solange zu wenig einheimische Arbeitskräfte auf dem Markt sind, das hiesige Gastgewerbe auch in Zukunft genügend grosse Kontingente erhalten wird.

«Das Tessin muss auf den europäischen Touristen setzen»
Viel mehr beunruhigen ihn der starke Franken und die hohen Mindestlöhne. Die Kosten sind in der Schweiz im Verhältnis zu den Leistungen und der gebotenen Qualität viel zu hoch, ist er überzeugt. «Das Tessin muss auf den europäischen Touristen setzten. Russen und Asiaten sind Durchgangstouristen, die sich höchstens einen Tag im Tessin aufhalten», sagt er. Doch für europäische Gäste muss mehr investiert werden. Es gibt einzelne gute Initiativen wie das Bade- und Wellnesszentrum in Locarno oder das Splash & Spa in Rivera. Da diese Einrichtungen aber privat finanziert werden, sind sie viel zu teuer. «Der Kanton müsste hier intervenieren, mit guten Rahmenbedingungen und weniger Bürokratie», kritisiert Scolari. Und dann sind da noch die typischen Charaktereigenschaften der Tessiner. Scolari echauffiert sich: «Wenn jemand mit einer guten Idee Erfolg hat, wird er von den Einheimischen sofort kritisiert und in den Medien angegriffen. Neid, Missgunst und Streitsüchtigkeit haben im Tessin schon immer positive Entwicklungen verhindert.» Dies gilt laut Scolari auch für die Vermarktung der Tourismusregion Tessin. In seinen Augen gehen andere Regionen wie Wallis, Graubünden oder Luzern viel professioneller vor. Seit Januar dieses Jahres ist die neue Tourismusagentur aktiv, die das ehemalige kantonale Fremdenverkehrsamt, die vier regionalen Organisationen sowie die drei grössten Berufsverbände unter einem Dach vereint. Doch Scolari bleibt skeptisch: «Für ein erfolgreiches Marketing braucht es die richtigen Leute und genügend finanzielle Mittel.»

«Der Tourismus verlagert sich immer mehr in die Städte»
Zum Schluss frage ich meinen Gesprächspartner nach seiner Prognose für die Zukunft des Tessiner Gastgewerbes. Doch auch hier gibt sich Scolari pessimistisch. «Ländliche Regionen werden es in Zukunft schwer haben, der Tourismus verlagert sich immer mehr in die Städte», ist er überzeugt. «Doch schauen Sie mal, wie Lugano sein Stadtzentrum massakriert hat. Viele historische Bauten wurden abgerissen, um hässlichen Bürohochhäusern und teuren Luxuswohnungen Platz zu machen. Am Abend ist Lugano eine tote Stadt. Die Touristen bevorzugen die Region von Como. Hier ist alles noch intakt, das historische Erbe wurde erhalten, die Städte sind voller Leben.»

Als wir die Osteria Mistral verlassen, hat ein stürmischer Nordwind die Gewitterwolken vertrieben und die warme Sonne hat die Gassen von Bellinzona getrocknet. Kaum sind wir auf der Strasse, spricht uns ein Gast des Lokals an. Er sei 75 Jahre alt und esse seit zwei Jahren jeden Tag hier zu Mittag. Seitdem konnte er sämtliche cholesterin- und blutdrucksenkenden Medikamente absetzen. Es gehe ihm prächtig. Wir sollten das nächste Mal unbedingt den Käseteller versuchen. Alles Spitzenprodukte aus der Region. Der Wirt steht mit einem breiten Lächeln im Türrahmen und geniesst die Szene. Man kann im Tessin als Gastwirt also doch noch erfolgreich sein.

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