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Der 50-Sterne-Koch
Der Walliser Yannick Germanier lebt seit vier Jahren in New York, kocht für den Schweizer Generalkonsul Raclette 2.0 und träumt davon, in Teufels Küche zu kommen.

Yannick_Germanier_Gastrofacts

Mittwoch, 8 Uhr morgens, Union Square Market. Mittendrin, mit kariertem Hemd und kleinem Rucksack: Yannick Germanier, Koch des Schweizer Generalkonsulats in New York, auf der Suche nach den Zutaten für das offizielle Dinner an diesem Abend. Wie das Menü aussieht, weiss er noch nicht. Nur eines war für den Walliser schon vor der Subwayfahrt von der Residenz hierher sicher: Frisch und saisonal muss es sein. «Vielleicht etwas mit Pfirsichen», murmelt er vor sich hin und schlendert den Ständen entlang – vorbei an Ziegenkäse aus New Jersey, Pfirsichen aus Upstate New York und frischem Gemüse aus Long Island.

Funky Radieschen aus Jersey

Moment. Da waren Pfirsiche! Doch Germanier ist bereits weiter und steht neben einer Kiste Gelber Beete. «Auf der ersten Runde kaufe ich nie etwas. Ich schaue mich einfach mal um und lasse mich vom Angebot inspirieren», erklärt er. Die Pfirsiche ersteht er auf der zweiten Runde, genauso wie Gelbe Beete, Funky Radieschen, Red Snapper und einen Bund Lila-Rettich-Sprossen. Wie bitteschön sieht jetzt das Menü für den Abend aus? «Gute Frage», sagt er lächelnd, schultert seinen Rucksack und mischt sich unter die Menschenmenge, die Richtung Subway strömt.

Kaum haben sich die Türen des Uptown-6-Trains geschlossen, scheint Germanier wieder in Gedanken zu versinken. «Es ist wie in der TV-Show Top Chef: Ich habe nun alles, was mich auf dem Markt angesprochen hat. Jetzt muss ich mir nur noch überlegen, was ich daraus mache.» Dass er jeden Tag vor einer solchen Herausforderung steht und kreativ sein kann, ist einer der Gründe, warum er seinen Job liebt. Hat er ihn darum auch gewählt? «Um ehrlich zu sein: Ich weiss nicht genau, weshalb ich Koch geworden bin. Laut meiner Mutter hatte ich den Berufswunsch schon im Alter von fünf Jahren – und es war nie etwas anderes ein Thema für mich.» Gekocht habe er als Kind aber nie. Die Küche war das Reich seiner Grossmutter. Da Yannicks Mutter schon damals voll berufstätig war, hat die Grossmutter früher in Vétroz (VS) jeden Tag für alle gekocht. Sie kocht auch heute noch täglich. Für die ganze Familie allerdings nur noch einmal pro Woche – immer montags.

Goodbye, Alltag!

«Dieses traditionelle Essen mit meiner Familie war mir immer sehr wichtig. Das fehlt mir hier, sehr sogar», sagt der 30-Jährige mit etwas Wehmut in der Stimme. Was vermisst er denn sonst noch von zuhause? «Nichts. Ich arbeite schliesslich für das Schweizer Generalkonsulat, und die meisten meiner Freunde sind Schweizer.» Im Normalfall sei er auch zu beschäftigt, als dass Heimweh aufkommen könnte. Obwohl es eigentlich kein «normal» gibt in seinem Leben als Koch in New York. Manchmal steht ein intimer Lunch auf dem Programm, ein anderes Mal ein Galadinner, manchmal auch beides. Und dann gibt es Tage, an denen er nur ein offizielles Frühstück zubereitet. Jeder Tag ist anders, Routine gibt es nicht. Das ist ein weiterer Grund, warum er seinen Job so sehr liebt.

Redet der Generalkonsul jeweils mit, wenn es um die Planung des Essens für diese Anlässe geht? «Nein. André Schaller ist sehr grosszügig. Er lässt mich das Menü immer selbst bestimmen.» Sie hätten lediglich eine Abmachung, dass Menüs am Mittag leicht sein sollten – also mit Fisch und Gemüse. «Das heisst nicht, dass das Dinner schwer ist, aber ein gutes Stück Fleisch gehört schon auf den Tisch.» Apropos: Was gibt es nun heute Abend zu essen? Germanier zuckt mit den Schultern und schweigt für den Rest der Fahrt.

Amerika – alles anders

Eine halbe Stunde später, zurück in der Küche in der Residenz auf der Upper East Side, ist er dem Menü einen kleinen Schritt näher: Zum Dessert gibt es Champagnermousse mit Pfirsicheis, Pfirsich- Nektarinen-Coulis, frischen Pfirsichen und Nektarinen. Was beim Zubereiten einfach aussieht, war für den von Michelin-Stern-Chefs ausgebildeten Koch in den ersten paar Monaten in New York alles andere als das. «Ich hatte Rezepte, die in der Schweiz ohne Probleme funktioniert haben – immer. Hier war das Resultat ein völliges Desaster.» Die Lebensmittel in den Staaten seien in Sachen Qualität und Zusammensetzung vollkommen anders als in der Schweiz. Nehmen wir beispielsweise Milchprodukte: In der Schweiz hat Rahm einen Milchfettanteil von 35 Prozent, hier sind es 40. Die 5 Prozent Fett machen einen grossen Unterschied. Und dann das Fleisch: In der Schweiz ist ein Rind so gross wie hier ein Kalb. So galt es für Germanier damals, Kochen und Backen quasi neu zu lernen. «Da ich vom ersten Tag an für offizielle Anlässe im Einsatz stand, musste ich schnellstmöglich einen neuen Weg finden, meine alten Rezepte zu kochen. Als Koch des Schweizer Generalkonsuls in New York gehören traditionelle Schweizer Gerichte quasi zum Basiskönnen.» 

Wie kommt man eigentlich zu diesem Traumjob? «Dank einer genialen Mutter und mehr Glück als Verstand», sagt er, grinst und macht sich wieder ans Rühren des Rahms für die Mousse. Details bitte, Chef Germanier! Also: Zu seinem 25. Geburtstag schenkte ihm seine Mutter zehn Tage New York. Während seines Trips im Sommer 2012 reservierte er einen Tisch im Restaurant des Wallisers Georges Briguet, einem guten Bekannten seiner Mutter Isabelle. Das «Le Périgord», das dann im März 2017 nach 53 Jahren die Pforten schloss, war damals eine bekannte Adresse für gehobene traditionelle französische Küche. Da Germanier kein typischer New Yorker Name ist, tauchte Briguet während des Essens an seinem Tisch auf und die beiden kamen ins Gespräch. «Als ich ihm erzählte, dass ich Koch bin, meinte er: Ich brauche einen, wann fängst du bei mir an?» Und so flog der Walliser zurück in die Schweiz und begann, sich mit den Formalitäten für eine Karriere in New York zu befassen.

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Wenn der Zufall spielt

Während Yannick Germanier mit dem Papierkrieg für das US-Visum beschäftigt war, ass der damalige Generalkonsul François Barras wie so oft im «Le Périgord» zu Abend. Bei einem Glas Wein fragte er seinen Freund George Briguet, ob er per Zufall einen Schweizer Koch kenne. Einen, der die Erfahrung und das Können habe, um für das Generalkonsulat in New York zu kochen. Georges Briguet erzählte Barras vom jungen Koch aus dem Wallis, der in ein paar Monaten bei ihm anfangen sollte, und zeigte ihm den Lebenslauf. Und der sprach für sich – auch wenn der Küchenchef, bei dem Yannick Germanier mit 13 sein allererstes Praktikum machte, meinte, dass er weder das Talent noch die Geduld habe, um Koch zu werden.

Didier de Courten, bei dem er ebenfalls ein Praktikum machte, sah das anders. Und so machte Yannick Germanier seine Lehre beim Zwei-Michelin-Sterne-Koch in Sierre (VS). Nach dem Militärdienst arbeitete er von 2008 bis 2010 im «Beau Rivage» in Genf, von 2010 bis 2011 im «Le Cheval Blanc» in Sion, und dann bei Damian Germanier in Vétroz (jetzt in Sion). Und im September 2012 bekam Germanier eine E-Mail aus New York. Ein Telefongespräch und ein Skype-Interview später musste er entscheiden, ob er die Stelle als Koch des Schweizer Generalkonsuls in New York wollte. Ein absoluter No-Brainer, oder? «Ja und nein», sagt er. «Als ich die Entscheidung treffen musste, war ich Sous-Chef in einem Toprestaurant – und wir waren kurz davor, unseren ersten Michelin-Stern zu holen, den es heute hat.» Somit musste Germanier sich das Ganze gut überlegen – und schnell. Knapp drei Monate später, am 11. Januar 2013, trat er die Stelle beim Generalkonsulat an. «Ich wollte später nicht bereuen, eine einmalige Chance nicht genutzt zu haben.»

Aller Anfang ist schwer

Bereut hat er seine Entscheidung für New York und gegen den Stern noch nie – auch wenn der Anfang beruflich und privat kein einfacher war. Kaum angefangen, musste Yannick Germanier für Daniel Humm kochen. Der Schweizer war damals zum besten Chef der Vereinigten Staaten gewählt worden, und der Generalkonsul organisierte in der Residenz einen Empfang für ihn. «Da war ich gerade mal zwei Monate in New York und immer noch dabei herauszufinden, wie Kochen hier funktioniert. Und wenn du für den besten Chef eines Landes kochen musst, ist das eigentlich schon genug stressig – auch ohne dass die Zutaten und Rezepte an sich eine Herausforderung sind.»

Was serviert er jetzt den Gästen des heutigen Dinners, ausser der Champagnermousse? «Als Zwischengang kommt Raclette 2.0 auf den Tisch – das darf nie fehlen.» Raclette 2.0? Der gebürtige Walliser nickt. «Das ist eine leichtere Variante des traditionellen Raclettes: ein warmer Schaum, der sich perfekt für ein Mehrgangmenü eignet.» Das sei das einzige Rezept, das er immer gleich zubereite. Alle anderen verändern sich ständig – Zutaten und Zubereitung. Also wie jetzt? Heisst das, dass jedes Menü für seine Gäste ein Experiment ist? Er schaut vom Radieschen-Rüsten auf, hält inne und lacht. «Um Gottes Willen. Nein!» Aber er koche jeden Tag für sich selbst, von Grund auf. Und dabei experimentiere er. «Ich bin quasi mein eigenes Versuchskaninchen. Den Gästen serviere ich dann das verfeinerte Resultat geglückter Experimente.»

Hauptgang: Bauernhühnchen mit Maisragout und Quinoakrokette

«Hier ist alles möglich»

Wie sieht es mit Veränderung im Rest seines Lebens aus? Lust auf eine neue Stadt? Er schüttelt vehement den Kopf. «Ich will hierbleiben. Ich liebe New York und seine Energie.» In dieser Stadt habe er das Gefühl, dass alles möglich ist – und morgen schon alles anders sein kann. «Am einen Tag musst du dein Restaurant vielleicht schliessen. Aber am nächsten Tag findest du schon einen anderen Ort für ein neues – oder einen neuen Freund, der dir beim Eröffnen hilft», sagt Germanier mit leuchtenden Augen. Ein Restaurant zu eröffnen sei in New York einfacher als in der Schweiz. Nicht der Vorschriften wegen. Vielmehr, weil die Schweiz und ihre Gastroszene so klein seien. Neuigkeiten würden schnell die Runde machen. «Hier ist alles anonymer – und irgendwie offener und positiver.» Wenn ein Restaurant zugehe, schaue man nach vorn und konzentriere sich gleich auf das nächste Projekt, und auf das, was man dort besser machen kann.

Der Traum von «Chez Madeleine»

Irgendwie häuft sich das Wort «Restaurant» gerade. Spielt er mit dem Gedanken, ein eigenes zu eröffnen in New York? «Ich träume zumindest schon ein Weilchen davon – von einem kleinen, feinen. Für ein grosses braucht man grosses Geld», sagt der Schweizer und lacht. Auf der Speisekarte stünden frische, saisonale Gerichte mit einem Touch Schweiz und einer Prise Amerika. Denn wenn man die grosse Schweizer Community hier anlocken wolle, müsse man Schweizer Gerichte anbieten.

«Aber hauptsächlich würde ich einfach das machen, was ich auch jetzt tue: mit frischen, saisonalen Zutaten kochen – farm to table. So wie man es zuhause in guten Restaurants auch macht.» Nennen würde er es am liebsten nach seiner Grossmutter, obwohl der Name wohl zu französisch klingt. Und wo fände man «Chez Madeleine», wenn Germanier den Standort frei wählen könnte? «Hell’s Kitchen », kommt es wie aus der Kanone geschossen. Ein Viertel, das Tag und Nacht belebt ist – mit Touristen und Locals. Also der perfekte Ort für das Lokal, das ihm vorschwebt.

Das klingt alles schon sehr konkret. «Schön wärs», sagt der Walliser. Eigentlich hatte er gehofft, sein Restaurant bis 2021 offen zu haben, wenn sein jetziges Visum ausläuft. Ein neues Visum zu bekommen, sei in den USA leider nicht ganz einfach. Germanier senkt seinen Blick und widmet sich – scheinbar geistesabwesend – dem Red Snapper. Daraus entsteht die Vorspeise des Abends: «Ceviche», das er auf Randencouli und mit den Radieschen anrichtet. Nach einem Weilchen schaut der 30-Jährige plötzlich auf und lächelt: «Hier ändert sich aber ja alles sehr schnell ...»

Apropos: Als Hauptgang gibts an diesem Abend Bauernhühnchen, grilliert und eingemacht, mit Maisragout und Quinoakrokette.
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