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Das unterschätzte Weingebiet entlang der Limmat
Kann man in städtischer Umgebung, neben Industrie und Autobahn, inmitten von Gewerbezonen und Wohnsiedlungen Reben anbauen und guten Wein keltern? Ja!

Limmattal_Gastrofacts

Ein Artikel von Peter Keller

Ein starker Sommerregen legt sich grau und nass über die Landschaft. Die Szenerie gleicht einem surrealen Film. Unterhalb eines ehemaligen Friedhofs neigt sich ein kleiner Rebberg wellenförmig den Hang hinunter, an dessen Ende eine breite, verkehrsreiche Strassenbrücke lärmt. Der Horizont ist von Hochhäusern und Industriebauten entstellt. Fährt man westwärts, scheint die Grossstadt nie aufzuhören. Nur die Strassenschilder deuten schüchtern die Grenzen der einzelnen Gemeinden an. Umgeben von Beton und Asphalt, trotzen letzte kleine Rebberge der drohenden Urbanisierung. Wir sind im Zürcher Limmattal.

Geografisch beginnt das Limmattal in Zürich und erstreckt sich entlang der Limmat bis nach Brugg. Die Stadt Zürich und die Gemeinden des Bezirks Dietikon bilden den Zürcher Teil des Tales, der Rest liegt im Kanton Aargau.

Der Urbanisierungsprozess in der Stadt Zürich setzt urbane Randgebiete wie das Zürcher Limmattal einer gewaltigen Wachstumsdynamik aus. Einstige Winzerdörfer mutieren zu städtischen Quartieren. Starkes Bevölkerungswachstum, hohe Siedlungsdichte und die grossen Verkehrsachsen stellen hohe Anforderungen an die Raumplanung. Verdrängt die Agglomeration den Weinbau? Nein! Drei Geschichten und ein paar Anekdoten klären auf.

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Die Geschichte von Höngg


Weinberge gibt es in Höngg vermutlich schon seit dem 12. Jahrhundert, dokumentiert sind sie seit 1319. «Die Rebarbeit war das Skelett der Jahresarbeit. Die Vieh- und Ackerwirtschaft lief nebenher oder zwischendurch.» So beschreibt ein Zitat aus dem 19. Jahrhundert die Bedeutung des Rebbaus im bäuerlichen Alltag. Doch dann folgten jahrelang ungewöhnlich strenge Winter, die Reblaus kam, und der Ausbau der Eisenbahn liess die Preise für ausländische Weine fallen. Die Bauern verloren die Lust am Rebbau. Nachdem 1930 die Gemeinde Höngg in die Stadt Zürich eingemeindet wurde, stiegen die Bodenpreise. Viele Grundeigentümer waren gerne bereit, ihr Land am sonnigen Hang als Bauland zu verkaufen. Von den einstigen 131 Hektaren blieben bis 1972 gerade noch 2,5 Hektaren übrig. Doch bereits 1923 begann der damalige Gemeindepräsident Paul Zweifel gegen den Trend erste Parzellen aufzukaufen und sein Sohn Heinrich Zweifel sorgte später für die Bestockung weiterer Flächen. Heute sind 13 Hektaren mit Reben bepflanzt, einige könnten noch folgen. Und das bringt uns zur zweiten Geschichte.

Die Geschichte vom Wein und den Kartoffelchips

Die Chronik der Höngger Familie Zweifel beginnt im 14. Jahrhundert. Die Zweifels waren Weinbauern, Müller, Lehrer und aktive Mitglieder im Gemeindeleben. Die Reblauskrise machte auch ihnen zu schaffen. So begannen sie 1898 mit dem Handeln von Weinen und der Produktion von Obstsaft. Später diversifizierte die Familie in den Handel von Mineralwasser und in die Produktion von Kartoffelchips. Heute ist die Zweifel Pomy Chips AG der grösste Produzent von Chips und Snacks in der Schweiz.

Ende der 1960er-Jahre begann die Familie Zweifel in der Region Zürich mehr Rebland zu kaufen oder zu pachten, so auch in Höngg und in Oberengstringen. Nebst dem Handel mit auserlesenen Weinen aus der ganzen Welt wurde wieder mit der Eigenproduktion von Weinen aus der Region begonnen.

Der ausgebildete Önologe Urs Zweifel ist ein Meister der Assemblagen. Mit neuen Rebsorten, viel Kreativität und modernsten Technologien kreiert er zusammen mit seinem Bruder Walter wahre Topweine. Diese Weine verkauft das Zweifel Vinarium mehrheitlich der regionalen Gastronomie. Und deren Kundschaft ist ziemlich anspruchsvoll. «Das Image der Zürcher Weine ist sehr gut, die Weine aus Oberengstringen sind sogar ein Geheimtipp», sagt Urs Zweifel. «Nur in Weiningen soll es noch Produzenten geben, die eher altmodisch denken.» Aber auch dort wird vermehrt an der Qualitätsschraube gedreht. Wie die dritte Geschichte beweist.

Die Geschichte vom Familien-Weingut

Das schmucke, noch dörflich geprägte Weiningen hat mit 28 Hektaren die grösste Rebbaufläche des Zürcher Limmattals. «Die Urbanisierung hat hier später begonnen und die Politiker der Gemeinde haben sich stärker für den Rebbau eingesetzt als anderswo im Tal», erzählt Hans-Heinrich Haug, der zusammen mit seiner Frau Dora und den vier Kindern das Weingut Haug führt.

Seine Ahnen waren Bauern. Sie pflegten auch Rebberge, doch die Trauben wurden allesamt verkauft. Erst sein Vater Heinrich begann 1964, seine Landwirtschaft abzubauen und den eigenen Wein zu keltern. Heute bewirtschaftet das Weingut Haug fünf Hektaren Rebfläche, und die gesamte Ernte wird in der eigenen Kellerei zu Wein verarbeitet.

Hans-Heinrich Haugs Sohn Robin ist gelernter Winzer und diplomierter Önologe. Er sieht durchaus Chancen im regionalen Weinbau. Die Haugs setzten auf Tradition und Innovation. Sie bevorzugen die heimischen Rebsorten Riesling-Silvaner, Blauburgunder und Räuschling, versuchen es aber auch mit internationalen Sorten. «Wir setzen auf Qualität. Das beginnt bei der Auswahl der Klone und endet beim Verkauf», sagt Robin Haug. Aber auch ein bewusster und sinnvoller Umgang mit dem Pflanzenschutz ist für Vater und Sohn Haug von zentraler Bedeutung. Denn der Rebbau inmitten von Wohngebieten ist nicht selbstverständlich.

Mondmenschen, Orient und schlechte Erziehung

«Unsere Rebflächen sind gesetzlich geschützt, die Gemeinde steht voll dahinter», sagt Robin Haug. Und Urs Zweifel ergänzt: «Der Rebbau könnte bei uns sogar noch wachsen, denn er gibt dem landwirtschaftlichen Gebiet eine höhere Wertigkeit, was politisch von allen Parteien unterstützt wird.» Allerdings liegen die Rebberge des Zürcher Limmattales vielerorts inmitten von dicht bewohnten Gebieten und ein Rebbau ohne Pflanzenschutz ist nicht denkbar. Doch das scheint nicht die grösste Sorge der Winzer zu sein. Die Rebberge gebe es schon lange und die Einwohner hätten sich an die spritzenden Traktoren gewöhnt. Zudem wird heute Pflanzenschutz nur noch bei Bedarf betrieben. «Das stört höchstens Spaziergänger, die in unser Naherholungsgebiet kommen», sagt Hans-Heinrich Haug. «Wanderer schätzen es weniger, wenn ich wie ein Mondmensch bekleidet mit dem Sprayer durch die Reben fahre.»

Urs Zweifel plagen ganz andere Sorgen. Im multikulturellen Zürich sind gefüllte Weinblätter eine beliebte orientalische Spezialität. «Ich treffe immer wieder Gruppen von Frauen im Rebberg an, die rücksichtslos Blätter von den Rebstöcken reissen. Obschon diese gespritzt sind.» Aber auch Vandalismus, Abfall und Hundekot zeugen immer mehr von schlechter Kinderstube. Vielleicht müssen städtische Rebberge bald durch Zäune geschützt werden.

Mit Marketing zum Erfolg

Das Zürcher Limmattal ist das kleinste Weinbaugebiet im Kanton Zürich. Die Gemeinden sind stolz auf die Erhaltung ihrer Weinbautradition. Doch vom Stolz allein können Winzer nicht leben. «Früher hat man einfach Wein gemacht», sinniert Robin Haug, «heute muss man die ganze Vermarktung gut im Griff haben.» Nebst Qualität sind innovative Ideen gefragt. Wenn in Weiningen eine Eiche gefällt wird, ist Hans-Heinrich Haug sofort zur Stelle und kauft das Holz. Davon lässt er bei der Küferei Schuler in Schwyz exklusive Barriques herstellen. «Für einen unverwechselbaren Rotwein mit Weininger Note», erklärt er. Urs Zweifel setzt voll auf Nachhaltigkeit und Schonung der Ressourcen. Sein Betrieb ist die letzte städtische Kelterei in Zürich. Um den Pflanzenschutz auf ein Minimum zu reduzieren, experimentiert er gerne mit sogenannten Piwis, neu gezüchteten, pilzwiderstandsfähigen Rebsorten.

Doch diese sind noch unbekannt und haben es am Markt schwer. Sein reinsortiger Vidal blanc lief bei den Kunden gar nicht. «Erst als wir die Marke Ursus blanc lanciert und dem Vidal blanc noch etwas Sauvignon blanc beigemischt haben, konnten wir den Wein absetzen», erzählt er. Aber gutes Marketing lohnt sich: Die Marke Ocioto, eine Assemblage aus lauter Piwis, ist heute sogar der bestverkaufte Wein im Zweifel Vinarium.

Und hier endet die Geschichte. Oder doch nicht? Unsere Winzer schauen mit Zuversicht in die Zukunft und sind voller Tatendrang. Robin Haug denkt über Önotourismus nach und Urs Zweifel plant, auf seinem Grundstück ein wahres Weinerlebnis zu realisieren. Die Weinregion entlang der Limmat soll niemand unterschätzen.
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