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Der Reis, die Schweiz und die Klimaerwärmung
Risotto hat im Tessin Tradition und ist im ganzen Land beliebt. Doch in der Schweiz wächst kein Reis. Oder etwa doch? Ganz im Süden des Landes gibt es einen Gutsbetrieb, der mutig, innovativund erfolgreich die Folgen der Klimaerwärmung nutzt und denjenigen der Globalisierung trotzt.

Reis
Reis ernährt mehr als die halbe Menschheit. Über 700 Millionen Tonnen werden davon weltweit jährlich produziert. Angebaut wird Reis hauptsächlich in den subtropischen Gegenden Chinas, Indiens und in weiten Teilen Südostasiens. Weitere Anbaugebiete liegen in den USA und in Norditalien. Und seit Kurzem auch in der Schweiz! Genauer gesagt im Tessin, auf dem Delta des Flusses Maggia und in der Magadinoebene. Unsere Geschichte beginnt 1930 mit der Gründung der Terreni alla Maggia SA in Ascona.
Die kriegswirtschaftlichen Anbauvorschriften für Industriebetriebe veranlassten wenig später den Unternehmer Emil Georg Bührle, die damals fünf selbstständig arbeitenden Bauernhöfe zu erwerben und in einen Musterbetrieb umzuwandeln. Zu diesem Zeitpunkt stand direkt neben dem Gutsbetrieb auch die kleine Pension Sonnenhof. Auch diese wurde von Emil Bührle gekauft und ist heute unter dem Namen Castello del Sole, eines der besten Fünf-Sterne- Hotels der Schweiz. Die heutige Terreni alla Maggia SA umfasst sowohl den gut diversifizierten Landwirtschaftsbetrieb wie auch das Luxushotel. Beide Betriebe werden unabhängig geführt, arbeiten aber eng zusammen. Durch diese Synergie entsteht ein interessantes Agritourismus- Angebot. Wohl das einzige in Europa mit fünf Sternen. Heute sind beide Betriebe erfolgreich. Aber es war nicht immer so. Globalisierung, Öffnung der Grenzen und Abbau protektionistischer Massnahmen setzten ab Mitte der Achtzigerjahre dem Landwirtschaftsbetrieb arg zu. Bis zu diesem Zeitpunkt baute man traditionell Futterpflanzen an und produzierte Milch und Fleisch. Wenn früher die Preise für Getreide bei hundert Franken pro Doppelzentner lagen, sind diese bis heute auf knapp vierzig Franken gesunken. Ähnlich sieht es bei Milch und Fleisch aus. Als privatrechtliche Aktiengesellschaft erhält der Betrieb zudem keinerlei Direktzahlungen oder öffentliche Fördergelder. Renato Altrocchi, ehemaliger Direktor der Terreni alla Maggia SA, suchte nach Alternativen, um die drohende Schliessung des Gutsbetriebes zu verhindern. Er dachte an Reis. Dank des sich erwärmenden Klimas müsste es möglich sein, überlegte er. 1997 begann er zusammen mit Markus Giger, Abteilungsleiter Ackerbau, mit dem Anbau. Zunächst auf zwei Hektaren und mit erheblichen Schwierigkeiten und Rückschlägen. Doch ab 1998 klappt es mit dem Reisanbau. Heute werden bis zu neunzig Hektaren bearbeitet. Doch das Land im Tessin ist knapp.

Reis
So einfach ist die Sache mit dem Reisanbau in unseren Breitengraden aber nicht. Zum Gedeihen braucht Reis normalerweise die Wärme und Feuchtigkeit des subtropischen Klimas. Die Magadinoebene ist zwar mit 200 Metern Höhe der tiefste Punkt der Schweiz, die Geologie und das Klima sind aber eher alpin. Von den über achttausend existierenden Reissorten musste also zunächst eine für dieses Gebiet geeignete Sorte gefunden werden. Langsam wachsende Arten gedeihen hier nicht, dazu ist die warme Periode zu kurz. Denn kalte Temperaturen verträgt der Reis gar nicht. Nach verschiedenen Anbauversuchen fand man schliesslich die Sorte Loto, die gut an die klimatischen Verhältnisse des Tessins angepasst ist. Loto ist zudem ein ausgezeichneter Risottoreis und entspricht dem Geschmack der Tessiner Kundschaft. Diese Reissorte hat einen kurzen vegetativen Zyklus und ergibt einen guten Ertrag. In Ascona wurden versuchsweise auch andere asiatische, eher parfümierte Reissorten angebaut, aber sie liessen sich nicht gut verkaufen. Innovation, gepaart mit Traditionsbewusstsein führte schliesslich zum Erfolg. Denn der Reis stammt bekanntlich nicht aus dem Tessin, aber Risotto hat hier Tradition. Gesät wird im April, sobald frostige Nächte vorbei sind und gegen Ende Oktober kann die ausgereifte Pflanze geerntet werden. Dauert der Winter zu lange oder ist der Sommer zu kühl, ist die gesamte Ernte gefährdet. Das zweite Problem ist das Wasser.

Reis
Obwohl Reis keine Wasserpflanze ist, wurde das Gewächs seit Jahrtausenden durch Zucht an überflutete Felder angepasst. Denn die Flutung der Felder hindert Unkräuter und Schädlinge am Wachsen. Das Maggia-Delta und weite Teile der Magadinoebene sind zwar typische Schwemmgebiete, doch versickert das Wasser im sandigen Boden immer wieder. Im Tessin muss der Reis im sogenannten Trockenanbau bearbeitet werden. Bewässert wird durch regelmässige künstliche Beregnung. Gegenüber dem klassischen Nassreisanbau benötigt der Trockenanbau interessanterweise aber 75% weniger Wasser. Zudem wird kein Methan freigesetzt, der sonst in gefluteten Feldern aufgrund der sauerstoffarmen Bedingungen entsteht. Die Terreni alla Maggia SA ist stolz auf die Klima verträglichkeit ihrer Reiskulturen. Seit 2010 führt der Reis aus dem Tessin das Label «Climatop». Und der Trockenanbau hat Zukunft. In China führt die Klimaerwärmung je länger je mehr zu Wasserproblemen. Chinesische Hochschulprofessoren und Politiker sind schon nach Ascona gekommen, um die hiesigen Anbaumethoden zu studieren.
Der Trockenanbau hat aber auch Nachteile. Während im Tessin Parasiten eher ein kleines Problem darstellen, ist die Problematik der Unkrautvertilgung akut. In der Schweiz gibt es wenige zugelassene, für den Reisanbau geeignete Unkrautvertilger. Die Felder müssen deshalb zum Teil in mühsamer Handarbeit gepflegt werden. Dank einigen wenigen zugelassenen Fungiziden kann Pilzbefall hingegen erfolgreich bekämpft werden. Trotz Behandlungen gilt der Reisanbau im Tessin im Vergleich zu anderen Reisanbaugebieten als sehr klimafreundlich. Die Samen stammen aus Italien und sind amtlich als frei von gentechnisch modifizierten Organismen zertifiziert.
Ein weiterer entscheidender Umweltfaktor ist die integrierte Produktion des Landwirtschaftsbetriebes. Die Terreni alla Maggia SA produziert am Standort Ascona vom eigenen Rohstoff bis zum fertigen Endprodukt fast alles selbst und verkauft das meiste über die eigenen Läden direkt an die Konsumenten. Transporte fallen dadurch praktisch keine an. Der Reis ist das bekannteste Produkt, aber nicht das einzige, das bei den Terreni alla Maggia hergestellt wird. Um die gesetzlich vorgeschriebene Anbaufolge einzuhalten, werden auf den Feldern wechselweise verschiedene Maissorten, Hartweizen und Gerste angebaut. Aus all diesen Rohstoffen entstehen in Ascona qualitativ hochstehende Spezialitäten. Zum Beispiel wird aus den eigenen Maissorten die bekannte Tessiner Polenta hergestellt. Es gibt sie als klassische gelbe, als ursprüngliche rote, als weisse und als schwarze Polenta, eine Slow- Food-Spezialität aus dem Nordwesten Spaniens. Aus dem Hartweizen entstehen verschiedene Pastasorten. Die Gerste wird zusammen mit Malz und dem Bruchreis, einem Nebenprodukt der Reisverarbeitung, zu Bier gebraut. Aus dem Überschuss an Malz wird seit geraumer Zeit der eigene Whisky gebrannt. Und wie es sich für einen guten Landwirtschaftsbetrieb im Tessin gehört, werden auch Reben angepflanzt. Aus diesen Trauben entstehen in der eigenen Kellerei ausgezeichnete Tessiner Weine. Die Verarbeitung des Reises erfolgt aus wirtschaftlichen Gründen nur teilweise im eigenen Unternehmen. Ist der Reis einmal reif, wird er gegen Ende Oktober maschinell mithilfe einer gewöhnlichen Mähmaschine geerntet. Bei einem befreundeten Betrieb in der Nähe wird der Reis getrocknet und dann gelagert. Mit einer betriebseigenen Maschine werden die Spelzen entfernt. Dadurch entsteht der ungeschälte Reis, der in vielen Reformhäusern als Vollkornreis verkauft wird. Die anschliessende Polierung, die Verfeinerung der Reiskörner und die Abpackung erfolgen in einer der drei in der Schweiz operierenden Reisfabriken. Die Qualität des Tessiner Reises wird als gut bis sehr gut bewertet.

Reis
Je nach Ernte werden dreissig bis sechzig Doppelzentner Roh-Reis pro Hektare gewonnen. Dies ergibt eine jährliche Reisproduktion von 300 bis 500 Tonnen. Der Preis variiert je nach Verpackungsart. Im eigenen Laden wird ein Kilo Reis in der Cellophanpackung zu 4.90 Franken angeboten, im nobleren Stoffsäckchen kostet er 8.10 Franken pro Kilo. Zum Vergleich: In Italien wird ein guter Carnaroli-Reis zu vier Euro pro Kilo verkauft. Und wenn man bedenkt, dass im Restaurant für eine normale Portion Reis etwa achtzig Gramm verwendet werden, kostet ein Reisgericht mit Tessiner Reis bei einem Preisunterschied von einem Franken pro Kilo, etwa fünf bis zehn Rappen mehr als mit einem ausländischen Reis vom Grossverteiler. Absatzprobleme kennt man in Ascona nicht. Der Reis verkauft sich von selbst und man könnte leicht die doppelte Menge absetzen. Doch das Land im Tessin ist knapp, die Anbaufläche kann nicht erweitert werden. Zwei Drittel der Menge verkauft die Terreni alla Maggia SA direkt privaten Kunden und Gastronomiebetrieben. Der Rest wird von zwei Grossverteilern verkauft. Selbstverständlich wird der «Riso nostrano Ticinese» auch im Restaurant des Luxushotels Castello del Sole gekocht. Auf der erlesenen Speisekarte des Sterne-Kochs Othmar Schlegel findet man einige exzellente Reisgerichte. Um den Tessiner Reis wird nicht viel Marketing gemacht. Jährlich werden am Standort Ascona etwa hundertfünfzig begleitete Führungen organisiert. Die meisten Besucher reisen wegen des Reisanbaus an. Und trotzdem: Reich wird man hierzulande mit der Reisproduktion nicht. Bei einem Jahresumsatz von einer Million Franken können die Kosten gerade gedeckt werden. Allein der Traktor für den Reisanbau kostet über zweihunderttausend Franken und die hohen Lohnkosten drücken schwer auf die Rechnung. Der Gewinn erzielt die Terreni alla Maggia SA mit den anderen hier hergestellten Spezialitäten. Der Landwirtschaftsbetrieb beschäftigt 18 Vollzeitangestellte, aufgeteilt in den vier Abteilungen Acker- und Obstbau, Weinbau, Weinkellerei sowie Verkauf und Verwaltung. Je nach Bedarf, zum Beispiel zur Erntezeit, werden bis zu 20 weitere Personen benötigt. Die Terreni alla Maggia arbeitet auch mit einer Stiftung zusammen, die sich um Personen mit leichten Behinderungen kümmert und leistet so einen sozialen Beitrag. Für die Zukunft setzt die Terreni alla Maggia SA eher auf Evolution statt auf Expansion. Geeignetes Land für den Ackerbau gibt es im Tessin keines mehr. Es muss strategisch gedacht und auf innovative Produkte gesetzt werden.
Seit Kurzem wird in Ascona Tee angebaut. Daraus entsteht ein Kräuterlikör, der bereits im ersten Jahr eine Silbermedaille gewonnen hat. Zudem ist der Bau eines Degustationsraumes geplant, in dem Gäste ihre privaten Veranstaltungen durchführen können. Die Reisfelder im Tessin sind vermutlich weltweit die nördlichsten Reiskulturen. Aber mit der fortschreitenden Klimaerwärmung ist es nicht ausgeschlossen, dass in absehbarer Zeit der Reis auch nördlich der Alpen angebaut werden könnte. Versucht hat man es im Mittelland auch bereits, bisher aber ohne Erfolg. Noch ist in der Deutschschweiz das Zeitfenster zu eng. Der Winter dauert noch etwa zwei Wochen zu lang und der Sommer ist im Durchschnitt zwei Wochen zu kurz. Doch dies kann sich ändern. Die Zukunft wird es zeigen.

Terreni alla Maggia SA
Weingut und Landwirtschaftsbetrieb
via Muraccio 105
CH-6612 Ascona
Tel. +41 91 792 33 11
Fax. +41 91 792 33 55
info@terreniallamaggia.ch
www.terreniallamaggia.ch


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